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Historie

Ursprung (Ng Mui & Yim Wing Tzun)

Die authentische Kampfkunst Wing-Tzun wurde vor ungefähr 400 Jahren in China von der Shaolin-Nonne Ng Mui und der Frau Yim Wing-Tzun („schöner Frühling“) entwickelt, die dieser Kampfkunst ihren Namen gab. Dank ihrer hoch entwickelten Kampfkunsttechniken konnten diese zwei Frauen Kämpfe gegen die stärksten Männer ihrer Zeit gewinnen. Seit dieser Zeit wurde Wing-Tzun nur an Familienmitglieder und enge Vertraute weitergegeben. Der letzte verstorbene Grossmeister Yip Man, welcher 1972 starb, war der letzte Wing-Tzun Lehrer, der ausschliesslich chinesische Studenten unterrichtete. Heute gibt es weltweit tausende von Mitgliedern in mehr als 56 Ländern, die diese Kampfkunst lernen. Vor 30 Jahren wurde das Wing-Tzun System nach Europa gebracht und hat seitdem mehrere Generationen hoch qualifizierter Kampfkunstausbilder in Europa hervorgebracht. Wing-Tzun ist weltweit die erfolgreichste chinesische Kampfkunst.

Yim Wing-Tzun und ihr Mann Leung Bok Chau

Yim Wing-Tzun heiratete schliesslich doch ihren Verlobten Leung Bok Chau und gab die Kampfkunst-Methode, die sie von Ng Mui erlernt hatte, an ihn weiter. Leung Bok Chau hatte bereits vor ihrer Hochzeit Kung-Fu trainiert, deswegen hörte er seiner Frau anfangs auch kaum zu, wenn sie über die Theorie der Kampfkunst sprach. Natürlich glaubte er, dass eine Frau zu schwach sei, um ein ernstzunehmender Gegner für einen Mann zu sein. Doch einmal fand Wing-Tzun die Gelegenheit, ihm ihr Können praktisch zu beweisen, und so oft sie zusammen kämpften, wurde Leung Bok Chau von ihr besiegt. Erst dann erkannte er, dass seine Frau eine große Meisterin der Kampfkunst war. Ihr zu Ehren nannte er dieses Kung-Fu-System später „Wing-Tzun Kuen“.

Leung Bok Chau trainierte regelmässig mit seiner Frau, bis er selbst ein Meister dieser Kampfkunst geworden war. Leung Bok Chau gibt das Wing-Tzun System an Leung Lan Kwai weiter. Später gab Leung Bok Chau das System an Leung Lan Kwai weiter, einem Kräuter- und Knochenarzt, der seine Kung-Fu-Kenntnisse für sich behalten und niemals publik machen wollte. Nicht einmal seine Verwandten und engsten Freunde wussten, dass er ein Meister des Kung-Fu war. Sein Geheimnis wurde erst offenbar, als er eine Gruppe Schläger in die Flucht schlug, die einen einzelnen angegriffen hatte. Hätte Leung Lan Kwai damals sein Können nicht zeigen müssen, so wäre die Geschichte des Wing-Tzuns wohl an dieser Stelle beendet worden. So aber geschah es, dass er sein Wissen an Wong Wah Bo weitergab, einem Schauspieler bei einer Operntruppe. Damals nannte man alle Opernschauspieler „Jünger der Roten Dschunke“. Leung Lan Kwai hatte ursprünglich niemanden unterrichten wollen, aber Wong Wah Bos aufrechter Charakter und sein Gerechtigkeitssinn stimmten ihn um, so dass ihn Leung Lan Kwai als Schüler akzeptierte.

Leung Yee Tai (Langstock) und Wong Wah Bo

Es war damals üblich, dass die meisten „Jünger der Roten Dschunke“ etwas von der Kampfkunst verstanden. Bei ihren Vorführungen mussten sie dicke Schminke auf ihre Gesichter auftragen, so dass sie nicht zu erkennen waren. Deswegen tarnten sich auch der buddhistische Meister Chi Shin, einer der fünf Älteren des Shaolin-Klosters, der wie die Nonne Ng Mui nach dem großen Brand entkommen war, als Koch auf einer „Roten Dschunke“, um nicht verhaftet zu werden. Obwohl er lange Zeit versuchte, seine Identität zu verbergen, vertraute er sich doch einigen „Jüngern der Roten Dschunke“ an. Aber er wurde nicht verraten. Im Gegenteil! Sie schützten ihn mehrfach erfolgreich in gefährlichen Situationen, denn als rechtschaffende Menschen hassten sie die Mandschu-Regierung und arbeiteten im geheimen an ihrem Sturz, indem sie Vereinigungen gründeten, die Aktionen gegen die Manschu-Regierung unternahmen. So wurde Meister Chi Shin ihr Held. Er brachte ihnen die Kunst des Kämpfens bei, indem er sie im Shaolin-Kung-Fu unterwies, damit sie auf den bevorstehenden Kampf mit den Manschu-Soldaten vorbereitet waren. Unter Meister Chi Shins Schülern verdient Leung Yee Tei besondere Erwähnung. Er war nicht als Schauspieler, sondern als Seemann auf der „Roten Dschunke“. Mit Hilfe einer langen Stange lenkte er die Dschunke. Von all den Techniken, die Meister Chi Shin demonstrierte, gefiel Leung Yee Tai deshalb die „Langstock-Technik“ am meisten. Leung Yee Tei hatte Glück: Meister Chi Shin war einer der wenigen Langstock-Experten, und er hielt Leung Yee Tei für würdig, diese Techniken zu erlernen.

Nun aber zurück zu Wong Wah Bo, der in der gleichen „Roten Dschunke“ arbeitete, die Leung Yee Tai mit seinem langen Ruder lenkte. Wong Wah Bo bewunderte Leung Yee Teis Langstock-Technik, und Leung Yee Tei wiederum bewunderte das waffenlose Wing-Tzun Kung-Fu Wong Wah Bos. Sie konnten beide voneiander lernen und tauschten ihre Kenntnisse aus. Auf diese Weise wurde Leung Yee Tei ein Mitglied der Wing-Tzun Familie, und das Wing-Tzun System hatte nunmehr zusätzlich zu seiner Doppelmesser-Methode(Bart-Cham-Dao) auch noch eine weitere Waffen-Bewegungsfolge aufgenommen: die „6 1/2 Punkt-Langstock-Technik“. Als Wong Wah Bo und Leung Yee Tei einander halfen, die Technik des anderen zu erlernen, stellten sie fest, dass sie ihre eigenen Technik mit Hilfe der Technik des anderen ergänzen und verbessern konnten. Zum Beispiel konnten sie die ursprüngliche Langstocktechnik verbessern, indem sie es den genialen WT-Prinzipien unterwarfen. Unter anderem übernahmen sie für den Langstock die Wing-Tzun Trainingsmethode der Arme „Chi-Sao“, so dass die neue Langstock-Übung „Chi-Kwun“ erschaffen wurde. Ausserdem machten sie die Technik wirksamer, indem sie den Langstock weniger breit fassten und die Schritt-Technik des waffenlosen Wing-Tzun übernahmen.

Leung Jan, der „König des Wing-Tzun“

Im fortgeschrittenen Alter gab Leung Yee Tai die Kunst des Wing-Tzun an Leung Jan weiter. Leung Jan war ein bekannter Arzt in Fatshan, einer der vier berühmten Städte der Provinz Kwantung in Südchina. Fatshan, ein Verkehrsknotenpunkt am Perlenfluß, war ein berühmter Handelsplatz, an dem Regierungsbeamte, reiche Kaufleute, Arbeiter und gewöhnliches Volk zusammenkamen. Leung Jan gehörte dort eine Art Kräuter-Apotheke. Er kam aus einer guten Familie, war kultiviert, freundlich und höflich. Er kümmerte sich nicht nur um seine Jang-Sang-Apotheke in Fatshan, sondern er gab den Bürgern von Fatshan auch ärztlichen Beistand. Als guter Arzt genoss er das Vertrauen der Einwohner, so dass seine Praxis gut besucht war. In seiner Freizeit widmete er sich der Literatur und – was manchen überraschte – der Kunst des Kämpfens. Er konnte sich allerdings nicht so recht entschließen, einem bestimmten Lehrer und Stil zu folgen. Auch hielt er nichts von den tiefen Stellungen und den „langen Brücken“, die auf die meisten so gefährlich und kraftvoll wirkten. Stile, die sich auf rohe Körperkräfte verließen, waren nichts für ihn. Ebensowenig hielt er von solchen, die aus schönen aber unpraktischen Bewegungen bestanden. Was er suchte, war ein System, dessen einfache Bewegungen praktisch und vernünftig anzuwenden waren. Jahre vergingen, wobei er nach dem richtigen System und nach dem richtigen Lehrer suchte. Endlich wurde sein Warten belohnt – er traf Leung Yee Tai und lernte von ihm das Wing-Tzun System. Schon bald verdiente sich Leung Jan durch sein Können den Titel „Kung-Fu-König des Wing-Tzun“. Sein Ruhm brachte ihm viele Herausforderungen ein. Ehrgeizige Kämpfer zwangen ihn, seinen Titel zu verteidigen, aber waren schnell besiegt. Überall, wo man seinen Namen nannte, erinnerte man sich an seinen Titel „Kung-Fu-König des Wing-Tzun“ und an seine Siege über alle Herausforderer. Selbst heute spricht die ältere Kung-Fu-Generation noch voller Bewunderung von Leung Jans Kämpfen..

Wah der Holzmann und Wah der Geldwechsler

Leung Jan hatte es finanziell nicht nötig, den Wing-Tzun Unterricht hauptberuflich zu betreiben. Wenn er Schüler annahm, dann vor allem deshalb, weil er für seine Wing-Tzun Studien Trainingspartner brauchte. Er hatte deshalb nur wenige Schüler, unter ihnen seine beiden Söhne, Leung Tsun und Leung Bik. Jeden Abend, nachdem er seine Apotheke geschlossen hatte, unterrichtete er Wing-Tzun. Einer seiner Schüler wurde „Wah der Holzmann“ genannt, weil seine Arme hart wie Holz waren und weil er im Training oft die dicken Arme der Holzpuppe zerbrach. Jeden Abend trainierte er unter Anleitung seines Lehrers Leung Jan mit seinen Klassenkameraden Wing-Tzun. Direkt neben seiner Apotheke war der Stand eines Geldwechslers, der Chan Wah Shun gehörte. Man nannte ihn „Wah den Geldwechsler“. Er war nahezu verrückt nach Kung-Fu und wollte unbedingt einem berühmten Meister folgen. Da sein Stand neben Leung Jans Apotheke war und er dessen Auftreten bewunderte, hätte er Leung Jan zu gerne um Unterricht gebeten. Da Leung Jan aber ein reicher Bürger war und einer berühmten Familie angehörte, traute sich Chan Wah Shun nicht, sich ihm mit einer solchen Bitte zu nähern. Auch hatte er große Angst abgewiesen zu werden. Jeden Abend nach der Arbeit schlich sich „Wah der Geldwechsler“ auf Zehenspitzen zur Tür von Leung Jans Apotheke, um Leung Jan durch die Ritze beim Wing-Tzun Unterricht zu beobachten. Meister Leung Jan war sein Vorbild. Keine Hand- oder Fußbewegung Leung Jans entging seiner Aufmerksamkeit. Und täglich wurde sein Verlangen größer, Wing-Tzun zu erlernen. Eines Tages nahm er seinen Mut zusammen und sprach Leung Jan an. Wie erwartet, wurde er – wenn auch mit freundlichen Worten – abgewiesen. Er war natürlich enttäuscht, aber keinesfalls mutlos. Denn er hatte sich einen Plan zurechtgelegt, wie er sein Ziel dennoch erreichen konnte.

Eines Tages, als Leung Jan außer Haus war, brachte Wah der Holzmann zum Training einen starken Mann mit in die Apotheke. Nur Leung Jans jüngerer Sohn, Leung Tsun, war da. Tatsächlich war der Fremde „Wah der Geldwechsler“, der schon seit langer Zeit Wing-Tzun durch den Türspalt gelernt hatte. Leung Tsun wollte sofort mit dem Geldwechsler kämpfen, um festzustellen, wieviel dieser durch den unerlaubten Unterricht gelernt hatte und um natürlich seine Überlegenheit zu beweisen. Leung Tsun hatte nie so hart trainiert, wie sein Mitschüler Wah der Holzmann. Schon beim ersten Kontakt fühlte Wah der Geldwechsler, dass sein Gegner nicht so stark und geschickt war, wie er erwartet hatte. Ohne dass er es beabsichtigt hatte, traf Chan Wah Shuns Handflächenstoß Leung Tsun so hart, dass dieser in den geliebten Sessel seines Vaters geschleudert wurde, so dass ein Stuhlbein brach. Erst waren alle über den Ausgang des Kampfes verblüfft, dann fürchteten sie, dass Leung Jan sie bestrafen würde, weil sein Lieblingssessel kaputt war. Deshalb versuchten sie, den Schaden notdürftig zu tarnen, damit Leung Jan bei seiner Rückkehr nichts bemerkte. Als Leung Jan am selben Abend zur Apotheke zurückkehrte, wollte er sich nach dem Abendessen auf seinem geliebten Sessel ausruhen. Zu seiner Überraschung brach der Sessel auf einer Seite zusammen, so dass er selbst fast zu Boden stürzte. Als er seinen ältesten Sohn verhörte, erfuhr Leung Jan alles über den Besuch des Fremden und über den Kampf. Darauf musste auch Wah der Holzmann seinem Meister Rede und Antwort stehen. Besonders interessierte Leung Jan, auf welche Weise „Wah der Geldwechsler“ seine Wing-Tzun Kenntnisse erworben hatte. Leung Jan mußte erfahren, dass der Geldwechsler ihn täglich durch den Türspalt beim Unterrichten beobachtet hatte und dass sein eigener Schüler, „Wah der Holzmann“, ihm Privatunterricht gegeben hatte. Leung Jan ermahnte den Holzmann, dass es falsch sei, ohne Erlaubnis seines Lehrers Kung-Fu zu unterrichten, und ließ sofort den Geldwechsler holen. Da er dachte, dass Leung Jan eine Bestrafung im Sinne hatte, riet er seinem Freund, dem Geldwechsler, in seine Heimatstadt zu fliehen, statt Leung Jan aufzusuchen. Als der Holzmann also ohne den Geldwechsler zurückkehrte, erfuhr er, dass sein Schüler ihn gründlich mißverstanden hatte. Als der Holzmann hörte, dass sein Lehrer nur feststellen wollte, wieviel Chan Wah Shun gelernt hatte, war er überglücklich und brachte seinen Freund schnell zu Meister Leung Jan. Nachdem Leung Jan den jungen Mann geprüft hatte, nahm er ihn ohne weitere Umstände als Schüler an.

 

Chan Wah Shun, der erste Lehrer Yip Mans

Chan Wah Shun der Geldwechsler, wurde also zum Nachfolger Leung Jans. Manche mit der chinesischen Tradition nicht so vertraute Leser hätten sicher erwartet, dass einem von Leung Jans eigenen Söhnen – Leung Tsun oder Leung Bik – diese Position zugestanden hätte. Tatsächlich gibt es so eine Thronfolge im chinesischen Kung-Fu nicht! Meist trainieren die Söhne von Großmeistern weniger hart als die anderen Schüler, da sie nicht so motiviert sind, sondern sich eher in Opposition zu ihrem Vater befinden. Natürlich hätte ein Vater lieber sein eigenes Fleisch und Blut zum Nachfolger, deshalb macht er es seinem Sohn oft leichter, höhere Techniken zu lernen.

Yip Man

Yip Man ist der letzte verstorbene Grossmeister des Wing-Tzun (1972). Lange Zeit war Wing-Tzun ein Geheimsystem und nur wenigen Menschen zugänglich und bekannt. Erst durch den Unterricht von Yip Man in Hongkong und die Verbreitung dieser Kunst in mehr als 56 Ländern der Welt ist diese Kampfkunst heute die erfolgreichste chinesische Kampfkunst überhaupt. Ihm zu Ehren widme ich diese Seite um Aufschluss über das Wirken und das Leben von Grossmeister Yip Man zu geben.

Sein Leben

Von angesehener Familie stammend  und als reicher  Eigentümer einer großen Farm sowie einer ganzen Strasse  mitsamt ihren Häusern hätte Yip Man das behütete und  verwöhnte Leben eines jungen Landedelmannes führen  können, der seine Hände nicht schmutzig zu machen  braucht.  Aber zur Überraschung seiner Umwelt entwickelte  er schon  früh eine Liebe für die Kunst des Kämpfens.

(Anzumerken ist, dass es für einen gebildeten Chinesen durchaus nicht standesgemäss war oder ist, Kung-Fu als Hobby zu wählen. Ebenso wie im Westen Boxen oder Ringen galt dies als Zeitvertreib der unteren Schichten. Erst im Westen konnte z.B. asiatische Kampfkunst verbrämt und häufig aufgewertet durch Pseudo-Philosophie junge Intellektuelle anziehen. Im Gegensatz zum Karate, das in Japan und im Westen an den Universitäten betrieben wird, so dass Studenten und Akademiker damit schon früh in Berührung kommen, blieb chinesisches Kung-Fu eine Freizeitbeschäftigung der Arbeiterklasse, die zwar die besseren Kämpfer stellt, aber natürlich keine theoretisch geschulten Lehrer. So ergibt es sich, dass die meisten Wing Tsun-Lehrer etwa Kellner und Köche waren oder sind, die die Theorie weder verstanden haben, noch an ihre Schüler weitervermitteln konnten. Yip Man war eine glückliche Ausnahme.) Im Alter von 11 Jahren erhielt er bereits Kung-Fu-Unterricht von Chan Wah Shun (Wah der Geldwechsler), einem Lieblingsschüler von Grossmeister Leung Jan in Fatshan aus der Provinz Kwangtung. Wah der Geldwechsler besass keine eigenen Unterrichtsräume für seine Kung-Fu-Schule, sondern mietete im Bedarfsfall Räumlichkeiten an. Nun ergab es sich, dass Yip Mans Vater so freundlich gewesen war, ihm den alten Familientempel des Yip-Clans zur Verfügung zu stellen. Leider hatte Wah nur wenig Schüler aufgrund des hohen Schulgeldes von monatlich 3 Tael Silber. Als Sohn des Vermieters kam Yip Man natürlich leicht in Kontakt mit Chan Wah Shun. Wahs Technik hatte es Yip Man angetan, so dass er beschloss, Wing Tsun von ihm zu lernen. Eines Tages brachte der junge Yip Man dem völlig überraschten Chan Wah Shun die drei Tael Silber und bat um Aufnahme in Chans Schule.

Wah war aber misstrauisch und fragte sich, wo der Junge wohl soviel Geld herhaben mochte. Als er sich bei Yips Vater erkundigte, erfuhr er, dass der Junge seine Spardose dafür geplündert hatte. Gerührt von Yip Mans Entschlusskraft, Wing Tsun lernen zu wollen, akzeptierte Wah ihn schliesslich doch als Schüler, unterrichtete ihn aber nur halbherzig und nicht sehr ernsthaft, da er Yip Man für einen jungen Gentleman hielt, der für die Kampfkunst eigentlich zu zart war. Dennoch gelang es Yip Man, mit Hilfe seiner Intelligenz und unterstützt von seinen älteren Kung-Fu-Brüdern (Si-Hings) eine Menge zu lernen. So konnte er endlich auch Wahs Vorurteil ihm gegenüber abbauen, so dass Wah ihn wirklich unterrichtete. Während seiner 36-jährigen Unterrichtszeit hatte Wah insgesamt nur 16 Schüler gehabt, seinen eigenen Sohn Chan Yu Min mitgerechnet. Von allen diesen Schülern war Yip Man der jüngste. Als Wah der Geldwechsler starb, war Yip Man 16 Jahre alt. Im selben Jahr verließ Yip Fatshan, um in Hongkong am St. Stephen’s College zu studieren.

Yip Man und Bruce Lee

Unter den Schülern Yip Mans war Bruce Lee einer der  bekanntesten. Bruce Lee traf Grossmeister Yip Man in  Hongkong, als er das St. Francis College besuchte. Bruce  Lees Vater, Lee Hoi Chuen, war ein guter Freund Yip Mans. Beide waren Flüchtlinge aus Fatshan. Weil Bruce Lees Vater und Yip Man sich so gut verstanden und Bruce Lee soviel Ehrgeiz und Fleiss beim Studium der Kampfkunst zeigte, gab Grossmeister Yip sich beim Unterricht von Bruce Lee besondere Mühe. Aber nach knapp drei Jahren konnte Bruce Lee seine Wing Tsun-Lektionen nicht mehr fortsetzen, denn er musste Hongkong verlassen, um in Amerika ein akademisches Studium zu beginnen. Bruce Lees Abschied von Grossmeister Yip Man machte keinesfalls den Eindruck einer endgültigen Trennung von Schüler und Meister. Aber es gab schon Anzeichen von Missstimmung. Yip Man ermahnte Bruce Lee vor dessen Abreise, dass Kung Fu zu den höchsten chinesischen Künsten zählte, dass Chinesen diese Techniken für sich behalten müssen, um sich zu verteidigen und die Gesundheit zu erhalten. Und dass deshalb die Techniken des chinesischen Kung Fu Ausländern nicht ohne Vorbehalt gezeigt werden sollten. Bruce Lee versprach sich daran zu halten, aber sobald er in Amerika ankam, eröffnete er eine Kampfschule, nahm ausländische Schüler an und brachte ihnen Wing Tsun-Techniken bei. Grossmeister Yip Man war darüber sehr erstaunt und enttäuscht.

Bruce Lees Ehrgeiz

Im Sommer des Jahres 1965 kehrte Bruce Lee mit seiner Frau und seinem Sohn von Amerika nach Hongkong zurück. Er stattete seinem Meister einen Besuch ab und bat ihn, ihm den letzten Teil der Wing Tsun-Holzpuppentechniken, den Bruce Lee noch nicht gelernt hatte, zu zeigen. Weiterhin bat er Yip Man um Erlaubnis, einen 8mm Film drehen zu dürfen mit Yip Man, der die Siu Nim Tau-Form demonstriert. Er benötigte diesen Film für seinen eigenen Unterricht in Amerika. Als Gegenleistung bot er Grossmeister Yip Man an, ihm eine neue Eigentumswohnung zu kaufen. Bruce Lee machte jedoch einen großen Fehler. Dadurch, dass er zuviel von Geld sprach, verletzte er die Gefühle seines Lehrmeisters! Deshalb wies ihn Grossmeister Yip Man ab: “Ich kann dir das nicht zusagen. Denn du bist nicht mein einziger Schüler, und ich habe niemals irgendeinem Schüler solche Zusicherungen gemacht. Was sollte ich den anderen sagen, wenn ich dein Angebot annähme?” Nach dieser Zurückweisung durch Yip Man wandte sich Bruce Lee an dessen älteren Sohn um Hilfe. Der aber soll ihm nach eigenen Angaben gesagt haben. “Es ist wahr, dass wir in Armut und Not leben, seit wir vor zehn Jahren nach Hongkong kamen. Wir haben nicht einmal ein Haus, um darin zu wohnen. Dein Angebot, uns eine Eigentumswohnung zu geben, würde unsere Not natürlich lindern. Aber es gibt noch Wichtigeres im Leben des Menschen als ein bequemes Leben und Materielle Dinge, und mein Vater hat einen starken Willen und sein Urteil ist unabänderlich. Das wissen wir beide sehr gut. Wenn er dein Angebot ablehnte, kann ich ihn nicht umstimmen.”